Science Fiction

Science-Fiction – ein Genre ohne Platz für Frauen?

Seit etwa zwei Jahren habe ich angefangen, immer mehr aus dem Genre Science-Fiction zu lesen. Dabei habe ich mir zu Anfang praktisch keine Gedanken darüber gemacht, ob die Bücher von einem einem Autor oder einer Autorin geschrieben werden. Aber irgendwann fiel mir auf, dass ich zumindest das Gefühl hatte, viel seltener auf weibliche Protagonisten zu stoßen. Ganz anders als ich es aus dem Fantasy-Genre kannte, in dem wesentlich häufiger Frauen im Mittelpunkt der Geschichte stehen. Das ist sicher auch dem Aufstieg von Romantasy und Young-Adult-Fantasy als Subgenres in den letzten Jahren geschuldet.

Science-Fiction, eine männliche Domäne?

Dabei ist es doch eigentlich erstaunlich, denn gerade Science-Fiction als Genre geht auf eine Frau zurück. Mary Shelley, die Autorin von „Frankenstein“ vereinte in ihrem Werk von 1818 als Erste die Erschaffung eines Monster mit Elementen aus der Wissenschaft. Nicht das Übernatürliche, wie Magie oder Alchemie, sondern die Elektrizität hilft Victor Frankenstein, seinen künstlichen Menschen zu erschaffen. In diesem ziemlich jungen Genre könnte man also erwarten, dass Autorinnen stärker vertreten sind. Trotzdem ist ein Blick auf die Klassiker der Science-Fiction nach wie vor stark von Männern dominiert, zum Beispiel auch hier bei mir.

Ich habe mich also gefragt, wie viele Science-Fiction-Autorinnen es wirklich gibt. Sind es tatsächlich so wenige oder nimmt man sie einfach nur seltener wahr? Bei meinen Recherchen bin ich auf eine Liste des amerikanischen National Public Radio gestoßen, in der die Hörer im Jahr 2011 die 100 besten Fantasy und Science-Fiction Bücher aller Zeiten gewählt haben.

Ich habe kurz überlegt, wie lange es dauern würde, die Liste nach männlichen und weiblichen Autoren zu trennen. Antwort: Überraschend schnell. Es waren nur 14 Bücher von Frauen darunter. Und bitte nicht vergessen, dass hier auch Fantasy mit dabei ist.

Auf den Inhalt kommt es an… oder?

Man könnte sich natürlich fragen, ob das überhaupt ein Problem ist. Nur weil eine Autorin weiblich ist, schreibt sie nicht unbedingt feministische Bücher oder stellt vielfältige, starke Frauen in den Vordergrund. Aber Analysen zeigen, dass es gerade im Genre Science-Fiction noch eine ziemlich große Lücke gibt.

So hat zum Beispiel die britische Bloggerin Liz Lutgendorff sich die Mühe gemacht, alle Bücher von der beschriebenen Liste zu lesen und auszuwerten. Als erstes stellte sie fest, dass die Bücher auf der Liste erstaunlich alt sind: Ein Großteil wurde in den 70er und 80er Jahre veröffentlicht und mehr Bücher sind älter als von 1960 denn jünger als aus dem Jahr 2000. Hier kann man also davon ausgehen, dass sie das Frauenbild von vor fünfzig Jahren haben, das sich natürlich stark von dem heutigen unterscheidet.

Dann stellte Lutgendorff ihre eigene Version des Bechdel-Tests auf, in dem sie die Bücher mit drei Fragen prüfte: Gibt es mindestens zwei weibliche Charaktere? Ist eine von ihnen ein Hauptcharakter? Und haben sie ähnlich interessante Fähigkeiten oder Berufe wie männliche Figuren? Ein Großteil der Bücher scheiterte bei mindestens einem dieser simplen Kriterien. Und nicht nur das: Lutgendorff fand über 30 Bücher, in denen Frauen immer wieder mit beleidigenden Ausdrücken referenziert wurden, wenn sie nicht auf irgendeine Weise gefällig waren. Im Gegensatz zu männlichen Charakteren war für Frauen eine typische Gefahrensituation eine Vergewaltigung. Und es kommt sogar vor, dass Protagonisten eine Frau vergewaltigen, ohne dass weiter darauf eingegangen wird.

Ein paar Lichtblicke

Aber nicht alles auf der Liste war schlecht: Als positive Beispiele nennt Lutgendorff „Die Jahre des Schwarzen Todes“, „Ein Feuer auf der Tiefe“ und „Die Maschinen“ (letzteres ist nicht auf der ursprünglichen Liste). Und – Überraschung – zwei dieser drei Bücher wurden von Frauen geschrieben.

Das spricht aus meiner Sicht klar dafür, dass mehr Autorinnen in dem Genre auch für eine bessere Repräsentation von Frauen in Science-Fiction-Büchern sorgen würden. Was können wir als Leser und Buchblogger also tun, um dazu beizutragen? Ganz klar: Bücher von Autorinnen lesen und darüber sprechen oder bloggen. Das habe ich mir auch persönlich für dieses Jahr fest vorgenommen. Falls ihr das gleiche vorhabt, habe ich noch ein paar Tipps für euch. Von diesen Autorinnen aus dem Genre möchte ich demnächst etwas lesen:

Neu auf meiner Leseliste

Wie oben schon geschrieben lassen sich auch meine SciFi-Bücher von Frauen bisher an einer Hand abzählen. Besonders begeistert war ich aber dafür von den Romanen von Becky Chambers. Ihre Space Operas fand ich nicht nur spannend und lustig, sie sprühen auch nur so vor Diversität. Hier und hier findet ihr meine Rezensionen dazu.

Dann kommt man bei dem Thema Frauen & Science-Fiction natürlich vor allem um eine nicht herum: Ursula K. Le Guin ist vor allem für den „Hainish“-Zyklus und die Fantasy-Romane „Erdsee“ bekannt und eine feste Größe des Genres. Ebenfalls sehr bekannt ist Octavia Butler, deren Romane oftmals feministische Themen aufgreifen und Minderheiten thematisieren. Aber warum nicht mal über den Tellerrand schauen und auch Autorinnen miteinbeziehen, die nicht aus Europa oder Amerika kommen?

Hier fällt mir direkt die chinesische Schriftstellerin Hao Jingfang ein, die nach Cixin Liu als nächster großer Science-Fiction-Import aus Asien gehandelt wird. Von ihr sind bisher die Kurzgeschichte „Peking falten“ und der Roman „Wandernde Himmel“ auf Deutsch erschienen. Außerdem steht Nnedi Okorafor auf meiner Liste. Sie lässt in ihren Werken die Aliens statt in Amerika mal in Nigeria landen, zum Beispiel in „Lagune„.

Habt ihr auch schon einmal in diesem oder einem anderen Genre darauf geachtet, ob ihr Bücher von Autoren oder Autorinnen lest? Wenn ihr noch weitere Tipps und Empfehlungen habt, freue ich mich sehr darüber.

12 Gedanken zu „Science-Fiction – ein Genre ohne Platz für Frauen?

  1. Bei den einschlägigen internationalen Genrepreisen wie Hugo- oder Nebula Award räumen seit Jahren vermehrt – man könnte fast sagen: überwiegend – Frauen ab. Es tut sich in dieser Hinsicht also durchaus einiges.
    In Deutschland stammen ca. 80% der jährlichen SF-Neuerscheinungen von männlichen Autoren (eine Übersicht für 2018 findet sich unter https://www.sf-lit.de/deutschsprachige-sf-2018/ ).
    Ob das an einer möglichen Benachteiligung durch die Verlage, der Erwartungshaltung der Käuferschaft oder ganz allgemein an geringerem Interesse seitens weiblicher Autorinnen und Leserinnen am Genre liegt, vermag ich nicht zu beurteilen.
    Wahrscheinlich ein bisschen von allem …

    Hier einige SF-Romane von Autorinnen, die mir in den letzten Jahren gut gefallen haben:
    Margaret Atwood: Der Report der Magd
    Emily St. John Mandel: Das Licht der letzten Tage
    Carolyn Ives Gilman: Dunkle Materie
    Juli Zeh: Leere Herzen
    Julia von Lucadou: Die Hochhausspringerin
    Carrie Vaughn: Die Banner von Haven

    1. Wie schon auf Twitter hier nochmal vielen Dank für die lange Liste, werde ich mir auch alles mal ansehen!

  2. Mir fallen noch Mur Lafferty und Sara King (leider nur Band 1 übersetzt) ein. Oder K.B. Wagers, Rachel Bach, Anne McCaffrey (einzeln und alle Autorinnen, mit denen sie z.B. den Raumschiff-Zyklus geschrieben hat), Margaret Fortune, in Bezug zu Okorafor auch Lauren Beukes, Kage Baker, Johanna Sinisalo, C.J. Cherryh … es gab und gibt eine ganze Menge. Warum jetzt alle Challenges und Hashtags dafür brauchen, erschließt sich mir nicht. Lest doch einfach Frauen, Punkt. Oder Frauen in der SF. Hat einem vorher ja niemand verboten 😉 Erschreckend ist vielmehr daran, dass man erst dazu aufrufen muss(te).

    1. Danke für die Tipps, schaue ich mir alle gerne mal an. Ich finde, egal ob man eine Challenge draus macht oder nicht. Das wichtige ist doch, dass wir diese Bücher lesen! 🙂

  3. Vielen Dank für die Empfehlungen.
    Ich hab leider nichts was ich an neuen Ideen beisteuern kann, aber meine Wunschliste wurde soeben länger 🙂
    Liebe Grüße
    Chrissi

  4. Fürs deutsche Fandom mag das tendenziell stimmen. In den USA aber räumen seit Jahren Frauen mit hervorragenden Romanen und neuen Impulsen bei den wichtigsten Preisen ab: Emily St. John Mandel, Annie Leckie und N. K. Jemisin. Das ist noch weit von 50:50 entfernt, aber es zeigt sich, dass da einiges im Wandel begriffen ist – zurecht. Gerade Ideenliteratur wie Science-Fiction kann von einer Vielzahl von Perspektiven und unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfahrungen nur profitieren.

    1. Das stimmt, die Preisverleihungen in den USA zeigen schon eine andere Richtung auf. Bis sich so etwas wie die im Artikel beschriebene Top 100 Liste ändert, ist es sicher auch noch dort ein weiter Weg. Aber profitieren würden wir als Leser davon ganz bestimmt.

  5. Ich habe mit einem Freund zusammen gerade einen Sci-Fi Roman veröffentlicht – unter dem Pseudonym I. M. Wolf. Warum? Hauptsächlich aus Marketinggründen. Einer der Gründe war eben die Männerlast des Genres und der Leser. Ich will gar nicht zählen, wie oft ich schon dem Vorurteil begegnet bin, dass Frauen nur Romanzen und philosophisch-esoterischen Quatsch schreiben (übrigens zwar überwiegend, aber nicht nur bei Männern), und je „verwissenschaftlichter“ die Genre-Ecke, desto schlimmer.

    Das wollten wir unserem Buch ersparen und haben deshalb das Pseudonym gewählt. Wir lösen es zwar auf, aber das Cover ist das, was hängen bleibt (neben der Geschichte, natürlich), und darauf steht was geschlechtsneutrales.

    Und nur als Anmerkung: unsere Protagonisten sind ziemlich paritätisch besetzt. 😀

  6. Was bei der Liste außer der geringen Zahl Frauen auch noch extrem auffällt – sie ist sehr weiß, sehr alt und halt hauptsächlich männlich.

    Es ist halt hauptsächlich der vermeintliche klassische Canon, der dort gelistet wird.

    Zum Glück ändert sich das gerade im englischsprachigen Raum etwas – aber ja, bis diese Liste etwas diverser aussieht wird es noch dauern.

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